Vor hundert Jahren, am 16.7.1917 wurde Helmuth Stolze geboren, er starb am 23. Dezember 2004 in München. Lindau ist sein Geburtsort und dort führte ein Onkel die Klinik für Psychotherapie. Helmuth Stolze beschreibt in dem Interview zu seinem achtzigsten Geburtstag, dass ihn die Tätigkeit des Onkels beeinflusste und dadurch sein Interesse am „leidenden Menschen“ begann. Helmuth Stolze übernahm 1959 von Ernst Speer die Lindauer Psychotherapiewochen als kleine psychoanalytische Fachtagung. Er baute sie in 20 Jahren zu einem internationalen Forum aus und ermöglichte schon in den sechziger Jahren, dass Kollegen aus dem Ostblock eingeladen wurden.1978 übergab er die Leitung der Lindauer Psychotherapiewochen, die während seines Wirkens zu einer der bedeutendsten Fortbildungstagungen wurde. Zu den Lindauer Psychotherapie Wochen aus historischer Sicht gibt es die Schrift „Erinnern und Vergessen“.

Helmut Stolze wurde mehrfach ausgezeichnet: 1966 erhielt er die Ernst von Bergmann-Plakette der Deutschen Ärzteschaft für Verdienste um die psychotherapeutische Fort- und Weiterbildung. 1978 wurde ihm das Bundesverdienstkreuz der Bundesrepublik Deutschland verliehen. 1984 wurde er Gründungsmitglied des ÄWK (jetzt ÄPK). Er war Ehrenmitglied in verschiedenen in- und ausländischen Fachgesellschaften.


Die Konzentrative Bewegungstherapie fand durch Helmuth Stolze Eingang in Fachkreise. Er gab nach ausführlichen Überlegungen der Konzentrativen Bewegungstherapie (gemeinsam mit J.E. Meyer) ihren Namen. Mit seinem Vortrag „Psychotherapeutische Aspekte einer Konzentrativen Bewegungstherapie“ führte er die KBT 1958 bei den Lindauer Psychotherapiewochen ein. Praktische Kurse leitete er zusammen mit Gertrud Heller, Christine Gräff und Miriam Goldberg.
„In der KBT meint „konzentrativ“, dass durch das Üben die Konzentration herbeigeführt wird. Der Übende ist vom Geschehen so ergriffen, dass er konzentriert wird. Insofern bezeichnet „konzentrativ“ in der KBT ein Hineingezogensein in eine erhöht wache „erfahrbereite Bewusstseinslage“. (Helmut Stolze S. 222 „Konzentrative Bewegungstherapie Grundlagen und Erfahrungen“)


In München war Helmuth Stolze 1952 einer der ersten niedergelassenen Psychotherapeuten. Er sagte im Interview von 1997: „Man muss auch eine Neigung zur Aktivität haben, um das „Behandeln“ wirklich zu verstehen als eine Tätigkeit, also auch als etwas, das mit dem Körperlichen zu tun hat“. Er nahm durch einen Kollegen J. E. Meyer, Kontakt auf mit Gertrud Heller, einer Schülerin von Elsa Gindler, arbeitete mit ihr und gewann bedeutsame Erkenntnisse: „Dieses Bei-sich-Sein, das Erfahren, was einem der Körper alles mitteilen kann, das war sehr wichtig. Und das hat dann bei mir ausgelöst, dass ich mir sagte, das ist eine Arbeit, mit der man wohl auch in der Psychotherapie etwas bewirken kann“.


Erfahrbereit war Helmuth Stolze, er widersetzte sich manchmal Festschreibungen. Das passte zu seiner freien Denkungsart und seinem Bewegt-sein und Unterwegs-sein im Leben. So bezeichnete er sich in späteren Jahren als “KBT-Wanderprediger“. Professor Stolze hat den DAKBT, die KBT auch im Rahmen der Weiterbildung für Ärzte unterstützt und gefördert. Er gab Impulse, widersprach, regte an und vertrat im DAKBT stets deutlich seine Meinungen, meist in handschriftlich verfassten Briefen.
In dem von ihm herausgegebenen Sammelband „ Konzentrative Bewegungstherapie. Grundlagen und Erfahrungen“, beschreibt er auf S.223 den Unterschied zwischen „in eine feste Form gegossene“ „Übung“ und dem dynamischen Prozess des „Übens“, er beruft sich dabei auf Elsa Gindler.


Die Bedeutung von Worten, er spricht vom „Geistigen in der Erziehung“ …..ohne erhobenen Zeigefinger“ prägten ihn in seiner Internatszeit. Daraus erwuchs sein leidenschaftliches Interesse an Literatur. Helmuth Stolze zitierte gerne Goethe, Schiller, Rilke. Ein besonderes Ereignis war die Jubiläumstagung des DAKBT 1994, als er Goethezitate im wechselseitigen Dialog mit Sylvia Straub vortrug. Es war ihm ein Anliegen, Literatur mit Psychotherapie in Verbindung zu bringen. Ich würde sagen, er verband die Geisteswissenschaft mit der Naturwissenschaft in seiner eigenen Weise.


Als Theorie führte er den Gestaltkreis in die Methode der KBT ein, besonders wichtig war ihm die Erweiterung durch den Tetraeder des Begreifens. Hier setzt er sich auch mit Neurobiologie auseinander, er verweist dabei auf Gerhard Roth. Eine Vielzahl seiner Vorträge und Gedanken sind in seinem Sammelband veröffentlicht. Helmuth Stolze war sehr interessiert und auch erleichtert, dass später Mitglieder aus dem DAKBT und ÖAKBT weitere Theorien zur KBT entwickelten und vor allem, dass die KBT in Österreich als psychotherapeutisches Verfahren anerkannt wurde.


Zu seinem achtzigsten Geburtstag 1997 erschien „ Urbilder des Menschlichen in Schillers Balladen“. In dem Vorwort zu der umfangreichen Veröffentlichung schreibt er: „In diesen Balladen breitet sich ein großartiges Panorama menschlichen Strebens und menschlicher Schwächen, menschlichen Gelingens und Versagens aus.“ Das Leitthema der 47. Lindauer Psychotherapietage war „Das Narrativ…aus dem Leben Erzähltes“. Hier bot er ein Seminar an „Urbilder des Menschlichen in Schillers Balladen.“ Er gewann „bewegende Einsichten in therapeutische und weit darüber hinaus, an allgemein-menschliche Probleme und schreibt weiter:„…“wie im „Ring des Polykrates“
„Mit fremden Schätzen reich beladen, kehrt zu den heimischen Gestaden...“ so kehre ich zurück von diesem, mir von der strengen Wissenschaft eigentlich nicht erlaubten Ausflug über die Grenzen meines Fachs hinaus – und nicht nur mit „fremden Schätzen“, sondern auch durch eigene Einsichten bereichert.“

Helmuth Stolze hatte einen weiten Horizont, in dem er sich manchmal verlief, wertvoll waren ihm Gesprächspartner, die ihm halfen, zusammenzufassen und den Ideenreichtum zu bündeln und seine eigenen Ideen anzureichern. Spielen war für ihn ein wesentliches Element in der KBT. Er zitierte gern aus Schillers Briefen: “Über die ästhetische Erziehung des Menschen: „der Mensch ist nur da ganz Mensch, wo er spielt.“ Herr Stolze fasst in einem Gedicht von Rainer Maria Rilke das für ihn Wesentliche zusammen:


„Solang du Selbstgeworfnes fängst, ist alles Geschicklichkeit und lässlicher Gewinn“…
Seine Interpretation dazu ist: „Das ist das Übliche, was wir tun und was wir gelernt haben, was unsere Theorien sind.“
„erst wenn du plötzlich Fänger wirst des Balles,
den eine ewige Mit-Spielerin
dir zuwarf, deiner Mitte, in einem jener Bögen
aus Gottes großem Brückenbau:
erst dann ist Fangen-Können ein Vermögen,
nicht deines, einer Welt.“

Dieses Gedicht spiegelt seine eigenen Lebenserfahrungen wieder: „Das ist etwas, was ich in meinem Leben immer wieder erlebt habe, immer wieder dieser Wurf, der dann aufzufangen ist“.
„Und wenn du gar
zurückzuwerfen Mut und Kraft besäßest,
nein, wunderbarer: Mut und Kraft vergäßest
und schon geworfen h ä t t e s t….(…….) erst
in diesem Wagnis spielst du gültig mit.
Erleichterst dir den Wurf nicht mehr; erschwerst
dir ihn nicht mehr. Aus deinen Händen tritt
das Meteor und rast in seine Räume „

„Und dass das Spiel eigentlich das Höchste ist. Dem geht ja viel Voraus an Denken, Ausprobieren, Zweifeln usw., aber dann erlebt man plötzlich: Jetzt stimmt es und jetzt bist du mit im Spiel. Diese Art des Mitspielens ist eine gewisse Fähigkeit, die für mich im Menschlichen überhaupt wichtig ist, und die auch grundlegend wichtig ist für die KBT.“


Mit seiner Aussage beschreibt Helmuth Stolze, dass Theorie und Methodik wertvoll sind. Sie sollten aber Hintergrundwissen bleiben, um unseren Patienten „erfahrbereit“ im Moment des Geschehens zu begegnen. Diese Erfahrbereitschaft wünschte sich Helmut Stolze mit eigenen Worten: „Solange ich lebe“. Er lebte und erlebte „diese Erfahrbereitschaft“. Das ging aus dem Bericht seiner Tochter Veronika Hillebrand in dem letzten Gespräch mit ihrem Vater hervor. Er spricht von dem „therapeutischen Kairos, dem Moment der Geistesgegenwart“. „Nur dadurch wird immer wieder eine neue Ganzheit gewonnen“. “Ich wünsche mir, dass die KBT immer so auf dem Weg bleibt“, waren die letzten Worte in einem Brief an Vorstand und die Mitglieder des Vereines.


Helmuth Stolze wird mit einer Fülle von Erinnerungen, Gedanken, Artikeln, Vorträgen und vor allem mit seiner geistigen Präsenz ein ständiger Wegbegleiter der Konzentrativen Bewegungstherapie bleiben.

Stolze H. Konzentrative Bewegungstherapie. Grundlagen und Erfahrungen. Springer Verlag 2. Auflage 1986
Stolze H. Urbilder des Menschlichen  Herstellung Gebrüder Parcus K.G. München
B.Purschke Heinz R. Schwarze (Hrsg) Verlag und Vertrieb Deutscher Arbeitskreis für Konzentrative Bewegungstherapie

Biographie und Bibliographie von Helmuth Stolze
Webseite des DAKBT www.dakbt.de

Renate Schwarze
Lehrbeauftragte des DAKBT
Maria-Theresia-Str. 1 –  81675 München