„Wir als Heilende spüren oft lange vorher, worum es bei einem Patienten geht“

Prof. Dr. med. Joachim Bauer, geboren 1951, arbeitet als Internist, Psychiater und Facharzt für Psychotherapeutische Medizin am Universitätsklinikum Freiburg.

Derzeit leitet er dort die Ambulanz der Abteilung Psychosomatische Medizin. Neben zahlreichen Fachartikeln veröffentlichte er 2002 „Das Gedächtnis des Körpers – Wie Beziehungen und Lebensstile unsere Gene steuern“ und im Jahr 2005 „Warum ich fühle, was Du fühlst – Intuitive Kommunikation und das Geheimnis der Spiegelneurone“

In seinem ersten Buch „Das Gedächtnis des Körpers“ belegt Prof. Dr. med. Joachim Bauer anhand neuester Forschungsergebnisse aus den Neurowissenschaften, dass Psychotherapie nicht nur auf die Seele wirkt, sondern über neurobiologische Einflüsse auch unseren Körper „erreicht“. Prof. Dr. med. H. Stolze, der Begründer der Konzentrativen Bewegungstherapie, beschrieb (1985) ein entscheidendes Merkmal der KBT mit dem Wort „Leibhaftigkeit“: „So können wir feststellen, dass nicht nur jedes körperliche Krank- oder Gestörtsein einen seelischen, sondern auch jedes seelische einen leibhaftigen Anteil hat.“ So wird in der KBT der Gegensatz präverbal – verbal aufgehoben. Grundlegend geht die KBT vom präverbalen Bereich aus (Gestaltkreis nach V. v. Weizsäcker), also vom Wahrnehmen und Bewegen. Aufbauend macht sie vom Wort, also vom Denken und Sprechen, Gebrauch. Beide Regelkreise ergänzen sich dann zum Begreifen. Diese Betrachtungsweise ermöglicht es, an jeder Stelle dieser Regelkreise anzusetzen und von dort aus das ganze System in Bewegung zu bringen.

Frage: Herr Prof. Dr. Bauer, auf der Jahrestagung 2005 des DAKBT hielten Sie den Eröffnungsvortrag mit dem spannenden Titel „Der Körper als Erinnerungsspeicher – zwischenmenschliche Beziehungserfahrung aus neurobiologischer Sicht“. Was sind und wie entstehen biologische Erinnerungsspuren?

Antwort: Was wir in zwischenmenschlichen Begegnungen erleben, hinterlässt in uns nicht nur eine seelische Spur. Alle Erfahrungen, die wir in unserer Umwelt machen – und hier besonders Beziehungserfahrungen mit anderen Menschen – werden vom Gehirn in biologische Signale verwandelt. Das Gehirn verwandelt unser Erleben in der Welt also in Biologie. Indem das Gehirn auf das, was wir in der Welt erleben, fortlaufend mit bioelektrischen und biochemischen Signalen reagiert, verändern sich nicht nur die Nervenzell-Verschaltungen des Gehirns, es verändert sich unser Körper insgesamt. Er wird damit zum Träger biografischer Erfahrungen. Dies kann z. B. in der Körpersprache, in einem veränderten Körpergefühl, in Verhärtungen des Muskelgewebes oder in chronischen körperlichen Schmerzen seinen Ausdruck finden.

Frage: Neurobiologisch kommen „Bewegung“ und „Sprache“ aus derselben Hirnregion. Was bedeutet dies für die psychischen Zusammenhänge? Wie stark hängen verbale und präverbale Erfahrungen voneinander ab?

Antwort: Tatsächlich sind die Nervenzell-Netzwerke, mit denen wir Sprache produzieren, in jene Region der Hirnrinde eingenistet, in welcher Handlungen geplant werden. Interessant ist außerdem, dass sich beim Kind die Sprache in engstem Zusammenhang mit der Fähigkeit des Kindes entwickelt, zunehmend kompliziertere Handlungen ausführen zu können. Sprache ist im Grunde „Probehandeln“, sie ist ein „lautes Nachdenken“ über Handlungsmöglichkeiten und über das, was sich daraus ergeben könnte. Die Basis allen Denkens und Sprechens sind im tiefsten Grunde Handlungserfahrungen, die wir als körperliche Wesen gemacht haben und machen können. Unbewusst beinhaltet jedes Sprechen daher auch einen körperlichen Aspekt. Wenn wir darauf achten, werden wir entdecken, dass sich unser Körper beim Sprechen verändert, sich z. B. anspannt oder entspannt, je nachdem, mit wem wir es zu tun haben oder was der Kontext ist.

Frage: In Ihrem soeben erschienenen zweiten Buch „Warum ich fühle, was Du fühlst“ berichten Sie über die Entdeckung der Spiegelzellen, die die Grundlage unserer emotionalen Intelligenz bilden und somit unser gesamtes Beziehungserleben beeinflussen. Was verstehen Sie unter Spiegel- und Resonanzphänomenen?

Antwort: Wenn wir unsere Partnerin, unseren Partner oder unser Kind zum Arzt begleiten und bei der Blutabnahme zusehen, spüren wir, dass sich im Moment des Einstichs der Nadel in die Haut des von uns geliebten Menschen nicht nur unser Gefühl, sondern auch unser Körper verändert. Wenn wir am Arbeitsplatz im Flur einer Kollegin oder einem Kollegen begegnen, die bzw. der uns kurz anlächelt, lässt uns dies spontan und unwillkürlich zurücklächeln, es kann uns sogar die Stimmung für den Rest des Tages retten. Die Berührung mit einer auf den Körper aufgelegten Hand, kann den Körper eines ängstlichen Menschen entspannen. Vorgänge dieser Art spielen sich ohne jedes Nachdenken ab, sie sind präreflexiv. Sie sind möglich, weil die innere Gestimmtheit eines anderen Menschen in uns Nervenzellnetzwerke aktiviert, welche spiegelbildlich in uns das wachrufen, was der andere Mensch gerade erlebt. Gefühle und Körperzustände können „ansteckend“ sein. Wir sprechen in der Forschung von „emotional contagion“, also von emotionaler Ansteckung. Die Basis dieses Phänomens sind die Spiegel-Nervenzellen.

Frage: Eine Ihrer Kernaussagen lautet: „Der Mensch ist, neurobiologisch gesehen, auf gute zwischenmenschliche Beziehungserfahrungen gepolt.“ Welche Fähigkeiten müssen wir gerade in unserer heutigen Zeit besonders entwickeln und pflegen, um dieses komplexe Geschehen positiv beeinflussen zu können?

Antwort: Zahlreiche neurobiologische Untersuchungen der letzten Jahre belegen, dass unser Gehirn auf gute zwischenmenschliche Beziehungen angewiesen ist, ganz besonders übrigens in den ersten Monaten nach der Geburt, aber auch im gesamten weiteren Verlauf des Lebens. Das A und O der seelisch-körperlichen Gesundheit ist daher die Fähigkeit, gute Beziehungen gestalten zu können, privat, in der Familie, in der Schule und am Arbeitsplatz. „Gute Beziehungsgestaltung“ heißt aber nicht, sich gegenseitig nur in Watte zu packen, sondern sich gerade auch dort, wo man mit Schwierigkeiten konfrontiert ist oder wo Konflikte unvermeidlich sind, konstruktiv verhalten zu können.

Frage: Sie schreiben in Ihrem neuen Buch: „Aus Sicht der Patienten gehören Probleme im Umgang mit Gefühlen zu den häufigsten Gründen eine Therapie aufzusuchen.“ Kann nach Ihrer Erfahrung die KBT gerade für diese Patienten einen besonderen Beitrag leisten?

Antwort: Schwerwiegende Belastungen, tief sitzende Angstgefühle und die vielfältigen sich daraus möglicherweise ergebenden körperlichen Symptome können dazu führen, dass ein Mensch Hilfe braucht. Oft reicht eine alleinige psychotherapeutische, also die mit der Sprache arbeitende Behandlung nicht aus, um einem seelisch belasteten Menschen zu helfen.
Das kann verschiedene Gründe haben: Wenn z. B. belastende Erfahrungen sich früh im Leben eines Menschen ereignet haben oder wenn es sich um traumatische Erfahrungen handelt, dann können Patientinnen bzw. Patienten das oft nicht mit der Sprache ausdrücken.

Da alle Erfahrungen aber auch im Körper gespeichert sind, können solche Patienten mit Hilfe einer KBT-Körpertherapeutin auf dieser Ebene an ihre Probleme herankommen. Eine körperorientierte Therapie kann aber auch dann notwendig sein, wenn der Patient zwar über seine Probleme in der Psychotherapie sprechen kann, dieses Sprechen aber den Patienten emotional nicht wirklich erreicht. Hier zeigt meine Erfahrung mit vielen Patienten, dass eine ergänzende KBT- Therapie einen entscheidenden Durchbruch bewirken kann.

Frage: Welche Auswirkungen hat die aktuelle wissenschaftliche Verifizierung von Spiegelzellen und Resonanzphänomenen auf eine körperorientiert-psychotherapeutische Methode wie die KBT?

Antwort: Die Spiegelzellforschung lässt uns eine Reihe von Phänomenen verstehen, die wir aus der Arbeit mit Patienten schon lange kennen. Jede KBT-Therapeutin kennt die Situation, dass die Zeichen und Signale, die ihr aus der Arbeit mit dem Patienten zufliessen, ihr sehr rasch einen Eindruck über das vermitteln, was den Patienten wirklich quält, obwohl der Patient darüber noch gar nichts selbst gesagt hat. In einer späteren Phase der Therapie, wenn der Patient selbst einen Zugang zu sich gefunden hat, zeigt sich dann aber, dass die frühen intuitiven Wahrnehmungen der Körpertherapeutin den richtigen Punkt sofort erfasst hatten.

Gut ausgebildete Psycho- und Körpertherapeuten kennen dieses Phänomen, dass wir als Heilende oft schon lange vorher spüren, worum es bei einem Patienten geht. Ich möchte aber betonen, eine solche Intuition ergibt sich nicht von alleine, sondern setzt – wie in anderen Berufen – eine gute Ausbildung und eine längere therapeutische Erfahrung voraus. Unter den körpertherapeutischen Methoden zählt die Konzentrative Bewegungstherapie zu den bestqualifizierten Vorgehensweisen.

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Das Interview führte Frau Christine Breitenborn Abdruck honorarfrei, Beleg erbeten. Prof. Dr. med. Joachim Bauer, geboren 1951, arbeitet als Internist, Psychiater und Facharzt für Psychotherapeutische Medizin am Universitätsklinikum Freiburg.

Abdruck honorarfrei, Beleg erbeten

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