Körperbezogene Gruppenpsychotherapie in der 2. Lebenshälfte. Psychotherapie, Psychosomatik, Medizinische Psychologie, 44, 337-345.

Fragestellung / Hypothesen
Vorgestellt wird ein mehrdimensionales stationäres psychosomatisches Therapiekonzept für Patienten in der zweiten Lebenshälfte. Körperbezogene Gruppentherapie, die ihre Grundelemente aus der KBT bezieht, analytisch orientierte Gestaltungstherapie und körpertrainierende Maßnahmen sind wesentliche therapeutische Angebote. Folgende Fragestellungen werden u.a. untersucht: (1) Hat die Psychotherapiemotivation und die von Patienten erlebte Qualität der Patient-Therapeut-Beziehung einen Einfluss darauf, wie unterschiedliche therapeutische Angebote in ihrer Wertigkeit von den Patienten eingeschätzt werden? (2) Fällt der Zusammenhang von subjektivem Veränderungserleben bezüglich verschiedener psychophysischer Parameter und positiver Resonanz auf ein therapeutisches Angebot für die einzelnen therapeutischen Angebote unterschiedlich aus? (3) Lassen sich für den Zusammenhang von subjektivem Veränderungserleben und positiver Resonanz auf ein therapeutisches Angebot Geschlechtsunterschiede nachweisen?

Stichprobe
600 Patienten (59,5% Frauen) einer psychosomatischen Klinik, im Alter von 45 bis 65 Jahren und mit einer Behandlungszeit von sechs bis zwölf Wochen.

Untersuchungsdesign
Naturalistische klinische Studie mit Messung zum Zeitpunkt der Entlassung.

Datenerhebungsverfahren
Fragebogen mit Patientenstellungnahmen dazu, wie die einzelnen therapeutische Angebote erlebt wurden (mit nachträglicher Skalierung hinsichtlich der Qualität der Bewertung), sowie Einschätzung durch den Patienten, inwiefern sich verschiedene psychophysische Parameter, wie z.B. körperliche Beschwerden und Selbstakzeptanz, verändert haben und Beurteilung der Therapiemotivation auf einer Skala durch den Therapeuten.

Datenauswertungsverfahren
Deskriptiv- und inferenzstatistische Auswertung.

Ergebnis
Die körperorientierte Gruppenpsychotherapie wird von weniger Patienten (26.5%) hoch bewertet, als körpertrainierende Maßnahmen (32.8%) und analytisch orientierte Gestaltungstherapie (38%). Therapiemotivation und Qualität der therapeutischen Beziehung haben einen Einfluss auf die Einschätzung der therapeutischen Angebote: Bei vorhandener Therapiemotivation und positiv bewerteter Patient-Therapeut-Beziehung zeigen 92.4% der Patienten eine mittlere bis hohe Resonanz auf die körperorientierte Gruppenpsychotherapie. Nur für dieses therapeutische Angebot zeigte sich auch ein hoch signifikanter Zusammenhang von Bewertung des therapeutischen Angebots durch den Patienten mit dem Veränderungserleben bezüglich der Merkmale “Vertrauen zu anderen” und “Altersbildkorrektur”. Bei Frauen geht ein positives Erleben der körperorientierten Gruppenpsychotherapie einher mit einer verbesserten Einsicht in psychosomatische Zusammenhänge ohne dass die körperlichen Beschwerden sich verändern. Für die Männer hingegen steht das positive Erleben körperorientierter Gruppenpsychotherapie in einen Zusammenhang mit geringeren körperlichen Beschwerden, aber nicht mit gewonnener Einsicht in psychosomatische Zusammenhänge.

Anmerkung
Die gefundenen Ergebnisse zu den Geschlechtsunterschiedenen werden als geschlechtsspezifische Reaktion auf die zunächst häufig eher labilisierende Wirkung der körperorientierten Gruppenpsychotherapie interpretiert. Demnach zeigen Männer aufgrund

ihrer Erziehungsideale initial einen größeren Widerstand gegenüber körperbezogener Therapie. Die durch die körpertrainierenden Maßnahmen erreichten körperlichen Beschwerdebesserungen werden vermutlich bei ihnen über die Abwehr von Körpererfahrungen weniger destabilisiert als bei den Frauen, die eine größere Offenheit für gefühlhaftes und leibliches Empfinden haben und von daher ein größeres Spektrum psychosomatischer Zusammenhänge für sich erfahren.

pdfDAKBT_Baumann_1994.pdf