Körper-, Selbst- und Gruppenerleben in der stationären Konzentrativen Bewegungstherapie. Gießen: Psychosozial [unter gleichem Titel 1999 als Dissertation an der Universität Köln angenommen]. 3.Auflage 2010.

Fragestellung / Hypothesen
(1) Verändert sich das Körpererleben bei klinisch erfolgreichen Patienten in eine klinisch günstige Richtung? (2) Unterscheidet sich der Verlauf des Gruppenerlebens bei mehr und weniger erfolgreichen Patienten? (3) Zeigen sich Effekte des Settings (gruppentherapeutische Kombinationsbehandlung vs. KBT-Gruppenbehandlung in Kombination mit analytisch-systemischer Einzeltherapie)? (4) Ist der Behandlungserfolg abhängig von der Bereitschaft, sich in den ersten Behandlungswochen in der KBT-Gruppe einzulassen und sich zu öffnen?

Stichprobe
72 Patienten (58% davon Frauen) in stationärer Psychotherapie (25% neurotische Störungen, 40% Persönlichkeitsstörungen, 17% körperliche Funktionsstörungen psychischen Ursprungs, 7% Ess- oder Schlafstörungen, Schmerzen, 7% Anpassungsstörungen, 4% sonstige Störungen gemäß ICD-9) mit einem Durchschnittsalter von 43.5 Jahren und einer mittleren Behandlungsdauer von 93.8 Tagen.

Untersuchungsdesign 
Naturalistische klinische Studie mit Prä- und Post-Messungen zur Beurteilung des klinischen Behandlungserfolgs und des Körper- und Selbsterlebens sowie quasi-experimentellem Design zur Überprüfung von Setting-Effekten. Die Stichprobe wird gemäß des Behandlungserfolgs in zwei Vergleichsgruppen aufgeteilt (modifizierter Median-Split). Verlaufsuntersuchung mit Datenerhebung nach jeder Gruppenstunde.

Datenerhebungsverfahren
(a) Prä-Post-Messung: Symptom-Checkliste (SCL-90-R; Franke, 1995), Gießen-Test (GT; Beckmann, Brähler & Richter, 1990), Inventar zur Erfassung Interpersonaler Probleme (IIP-D; Horowitz, Strauß & Kordy,1994), Fragebogen zur Beurteilung des eigenen Körpers (FBeK; Strauß & Richter-Appelt, 1996), individuelle Therapiezielskalierung, Leiberleben-Grid (mit zusätzlicher Erhebung zur Mitte der Behandlung). (b) Post-Messung: Abschlussrating der Befindensänderung durch Stationsarzt, Beurteilung des Erfolgs in der KBT durch die Therapeutin. (c) Verlaufsmessung: Gruppenerfahrungsbogen für die KBT (GEB-KBT; Seidler, 1995) nach jedem KBT-Gruppentermin.

Datenauswertungsverfahren
Deskriptiv- und inferenzstatistische Auswertung.

Ergebnis
(ad 1) Unter der KBT-Behandlung bessern sich die bei Klinikaufnahme stark ausgeprägten Körpererlebensstörungen. Bei klinisch erfolgreichen Patienten normalisiert sich das anfangs stark erhöhte körperliche Missempfinden. Das Leiberleben ist zu Behandlungsende bei ihnen deutlich gebessert (Effektstärke: 0.80); bei den klinisch weniger erfolgreichen Patienten gelingt die Besserung der Leiberlebensstörungen hingegen nur in geringerem Ausmaß (Effektstärke: 0.14). (ad 2) Der klinische Behandlungserfolg geht einher mit einer signifikanten Änderung der Körper- und Selbstrepräsentanzen im Sinne einer Akzeptanz der eigenen Leiblichkeit und der Reduktion zu hoher Ideale. Bei klinisch weniger erfolgreichen Patienten kann eine solche strukturelle Änderung des Körper- und Selbsterlebens nicht nachgewiesen werden. (ad 2) Im Behandlungsprozess in der KBT-Gruppe werden drei Dimensionen des therapeutisch bedeutsamen Erlebens (Lernerfahrung/Einsicht, Zuversicht und Zugang zum eigenen Körper) als Wirkfaktoren der KBT gefunden, wobei diese insbesondere bei den erfolgreichen Patienten paarweise korreliert sind. Nach der ersten Behandlungsstunde und in der zweiten Behandlungshälfte trennen sie zwischen den klinisch mehr und weniger erfolgreichen Patienten. Die Gruppenprozesse werden dabei modifiziert durch die Behandlungsdauer; der grundlegende Unterschied zwischen den Verläufen der Erfolgreichen und der weniger Erfolgreichen findet sich aber in allen Zeitfenstern. (ad 3) Patienten mit schwereren körperlichen Grunderkrankungen, die in Kombination von Einzeltherapie und KBT behandelt werden, profitieren nach anfänglicher Ablehnung besonders von der KBT, da sie einen besseren Zugang zum bisher abgelehnten Körper gewinnen. Bei Patienten in gruppentherapeutischer Kombinationsbehandlung beginnen die erfolgreichen unter ihnen relativ früh, einen positiven Zugang zum eigenen Körper zu finden, und erleben eine weitere Besserung im Behandlungsverlauf. Die weniger erfolgreichen Patienten unterscheiden sich in ihrem geringen Zugang zum Körper kaum in den beiden Settings. (ad 4) Mehr und weniger erfolgreiche Patienten unterscheiden sich zu Therapiebeginn nicht auf der Skala “Zurückhaltung” des GEB-KBT.

Anmerkung
Die Untersuchungsergebnisse belegen die Brauchbarkeit einzelner Erhebungsinstrumente: Methodisch hat sich der FBeK bewährt, um die Besserung von Körpererlebensstörungen unter KBT zu erfassen. Mit dem Leiberleben-Grid können strukturelle Veränderungen im Körper- und Selbsterleben individuell beschrieben werden. Der GEB-KBT erfasst als Prozessinstrument methodenspezifische Wirkfaktoren.

pdfDAKBT_Schreiber_Willnow_2000.pdf