Welche methodenspezifischen Behandlungsansätze bietet die Konzentrative Bewegungstherapie (KBT) bei erwachsenen Patientinnen und Patienten mit Angststörungen. Eine qualitative Untersuchung der KBT anhand von Expertinnen- und Experteninterviews. Unveröffentlichte Master Thesis, Department für Psychotherapie und Biopsychosoziale Gesundheit, Donau-Universität Krems. Zugriff am 06.7.2017 unter http://webthesis.donau-uni.ac.at/thesen/91347.pdf.

Fragestellung / Hypothesen
Die Studie geht der Fragestellung nach, welche methodenspezifischen Behandlungsansätze die KBT bei erwachsenen Patienten mit Angststörungen bietet. Dabei werden drei Unterfragen unterschieden: (1) Welche Phänomene begegnen KBT-Therapeuten in Ihrer Arbeit mit Angstpatienten und wie drücken diese sich in der Arbeit aus? (2) Welche Zusammenhänge werden zwischen den genannten Phänomenen und dem psychischen Erleben vermutet? (3) Welche Vorgangsweisen erweisen sich als hilfreich, und welche KBT-spezifischen Vorgangsweisen erscheinen dabei angebracht? Es werden drei Annahmen formuliert: (1) Die therapeutische Arbeit in der KBT geht vom momentanen Erscheinungsbild (Phänomen) eines Menschen aus, wobei der aktuelle intrapsychische Konflikt vor dem Hintergrund der Lebensgeschichte des Patienten und dessen Strukturniveaus mit einbezogen werden. (2) Die Arbeit mit dem Boden erweist sich unter den KBT-spezifischen Behandlungsansätzen als besonders hilfreich, da das Erleben von Sicherheit und Halt ermöglicht wird. (3) Durch das Probehandeln in der KBT kann der Chronifizierung und dem Vermeidungsverhalten bei Angststörungen begegnet werden, da neue Spiel- und Handlungsräume erfahrbar gemacht werden können.

Stichprobe
Sieben KBT-Therapeuten (86% weiblich, 57% Lehrpersonen), die ambulant und/oder im stationären Setting arbeiten, Erfahrungen mit Patienten mit Angststörungen haben und eine Berufserfahrung von mindestens drei Jahren aufweisen.

Untersuchungsdesign
Expertenbefragung in Form eines Einzelinterviews.

Datenerhebungsverfahren
Interview auf der Grundlage eines nichtstandardisierten Leitfadens.

Datenauswertungsverfahren
Qualitative Inhaltsanalyse nach Gläser und Laudel (2009): Die Interviews wurden zunächst transkribiert, dann wurden relevante Aussagen extrahiert und in Kategorien, die überwiegend theoriegeleitet, vereinzelt aber auch induktiv entwickelt wurden, zusammengefasst.

Ergebnis
Es werden drei Hauptkategorien gebildet: (1) Diagnostik, (2) Psychodynamik und (3) Behandlung. Diesen Hauptkategorien werden insgesamt 15 Subkategorien und 13 Sub-Subkategorien zugeordnet. (zu 1) Als Phänomene, die den KBT-Therapeuten in der Arbeit mit Angstpatienten initial begegnen, werden meist körperliche Beschwerden benannt. Zudem werden verschiedene psychische Phänomene beschrieben, wobei vor allem das fehlende Gefühl von Sicherheit benannt wird. Es werden unterschiedliche Weisen beschrieben, wie Patienten über ihre Ängste sprechen, und auf die Problematik eines mit der Angststörung einhergehenden Benzodiazepin- und Alkoholabusus sowie des Ärztehoppings hingewiesen. (zu 2) Als Ursache für die Entstehung von Angsterkrankungen werden die Erfahrung von fehlender Sicherheit und/oder emotionaler Bindung in der Kindheit und damit eine einhergehende Autonomieentwicklung aufgeführt. Angstsymptome können als verkörperte Erfahrung von fehlendem Grundvertrauen und Sicherheitsgefühl verstanden werden oder auch auf lange zurückgehaltene Gefühle hinweisen, da z.B. solche Gefühle durch die Verschiebung auf körperliche Symptome kontrolliert werden. Von einigen KBT-Therapeuten wird beschrieben, dass bei Angstpatienten eine Tendenz der Abwertung, z.B. von therapeutischen Angeboten zur Eigen- und Fremdwahrnehmung besteht, der therapeutisch begegnet werden muss. Unterschiedliche Aspekte der therapeutischen Arbeit mit Angstpatienten, die den KBT-Therapeuten Freude bereiten, werden aufgeführt, z.B. das Verzeichnen schneller Fortschritte, Kreativität und Phantasie der Patienten. (zu 3) Es werden settingbezogene Unterschiede (z.B. in Hinblick auf Behandlungsdauer und Gruppenbehandlung in der ambulanten und stationären Psychotherapie) in der Arbeit mit Angstpatienten beschrieben. In der Behandlung von Angststörungen wird initial eine Stabilisierung des Patienten angestrebt. Als dafür förderlich werden klare Rahmenbedingungen, das Einführen einer „Stopp-Regel“, die Arbeit mit geöffneten Augen und strukturierten KBT-Angeboten sowie die Aktivierung von Ressourcen genannt. Als KBT-spezifische Behandlungsansätze werden von (fast) allen KBT-Therapeuten die Körper-, Objekt- und Selbstwahrnehmung, die Arbeit am Boden, die Verwendung von Gegenständen sowie handlungsorientierte Angebote beschrieben; einige KBT-Therapeuten führen auch die Arbeit mit der Atmung, mit dem Körperbild und mit Berührungen an. Ebenfalls werden auch Behandlungsansätze anderer therapeutischer Verfahren von einigen KBT-Therapeuten verwendet, z.B. Psychoedukation. Es werden vielfältige Stärken der KBT in der Behandlung von Patienten mit Angststörungen angeführt, hingegen werden Schwächen eher nicht bzw. nur partiell gesehen.

Anmerkung
Das methodische Vorgehen in der Studie wird von der Autorin detailliert und transparent dargestellt. Dadurch werden auch einige Inkonsistenzen bzw. Ungereimtheiten deutlich, auf die die Autorin selbst aber nicht eingeht: So wird einerseits die therapeutische Erfahrung mit Angstpatienten als eines der Auswahlkriterien für die Teilnahme am Experteninterview benannt, andererseits wird im Ergebnisteil berichtet, dass einer der interviewten KBT-Therapeuten im stationären Bereich nicht mit Patienten mit spezifischen Phobien arbeitet, u.a. weil kein persönlicher Zugang zu diesem Störungsbild gefunden wurde. Es wird angegeben, dass der Hauptkategorie „Psychodynamik“ Aussagen zur intrapsychischen Bedeutung von Angststörungen zugeordnet werden; weshalb sich aber unter dieser Hauptkategorie auch eine Subkategorie mit Aussagen der KBT-Therapeuten dazu findet, was ihnen an der Arbeit mit Angstpatienten Freude bereitet, ist nicht nachvollziehbar. Im Diskussionsteil wird berichtet, dass eine kommunikative Validierung in der Weise vorgenommen wurde, dass von den interviewten KBT-Therapeuten eine Rückmeldung zu den Ergebnissen eingeholt wurde, die eine hohe Übereinstimmung erbrachte. Die Autorin stellt in ihrem Resümee fest, dass sich in den Ausführungen der interviewten KBT-Therapeuten ihre Hypothesen bestätigt haben, und weist auf weiterführende Forschungsfragen hin, z.B. der Differenzierung nach einzelnen Störungsbildern im Spektrum der Angsterkrankungen. Da sich die Sicht von Therapeuten auf das, was in einer Psychotherapie hilfreich oder wirksam ist, von denen der Patienten oft unterscheidet (z.B. Altimir et al. 2010; Castonguay, 2010), wäre es wichtig, z.B. entsprechende „Experten-Interviews“ mit Angstpatienten zu machen.