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KBT in Zeiten von Corona


Anschreiben des Vorstands zur Corona-Lage

Liebe Kolleg*innen,
liebe Besucher*innen der Homepage,

das Coronavirus hat unser Leben, wie wir es kannten, verändert. Wir im DAKBT sind - wie viele andere auch - damit beschäftigt, einen angemessenen Umgang mit der Situation zu finden. Sie ist für uns Menschen und für viele Institutionen global eine immense Herausforderung. Unsere Planungen sind eingeschränkt und wir wissen noch nicht, welche sozialen, psychischen und wirtschaftlichen Folgen sich entwickeln werden.

Von uns allen wird verlangt, soziale Distanz zu halten. Räumlicher Abstand ist notwendig, um uns und andere zu schützen, bei gleichzeitigem feinfühligen Umgang mit Belastungen.

Wir Therapeut*innen haben jetzt eine besondere Herausforderung zu bewältigen. Einerseits sind wir selber betroffen und haben möglicherweise Zukunftsängste, andererseits müssen wir Menschen in Kliniken und Praxen unterstützen, als Gegenüber zur Verfügung stehen und zunächst den verantwortlichen Umgang mit der akuten Situation bewältigen zu helfen.

Welche Aufgaben wir in der Zukunft zusätzlich noch haben werden, wird sich zeigen. Durch die erfahrenen Einschränkungen im „natürlichen“ körperlichen Miteinander und in der Mimik durch das Tragen von Schutzmasken können wir als KBT-Therapeut*innen in der praktischen Tätigkeit, in Forschung und Lehre neue Erkenntnisse gewinnen, die unsere Position in der therapeutischen Landschaft auch stärken könnte. Die Themen Körperkontakt und zwischenleibliche Begegnung werden in naher Zukunft sicherlich komplex diskutiert. Als Expert*innen für Körperpsychotherapie können wir unseren fachspezifischen Beitrag dazu leisten.

Wir als DAKBT-Vorstand versuchen Sie mit den notwendigen Informationen zu versorgen und inhaltliche Diskussionen zu ermöglichen. Dazu unterstützen wir das Projekt „KBT in Zeiten von Corona“.

Wir wünschen Ihnen in dieser Zeit alles erdenklich Gute und vor allem Gesundheit.

     Vorstand:  Ute Backmann
                        Waltraut Betker
                        Dr. Rudolf Kost


„KBT in Zeiten von Corona“: Ein Projekt für die Mitglieder des DAKBT e.V. – Erste Ergebnisse

Liebe KBT-Kolleginnen und Kollegen,

wir haben Sie/Euch Anfang April 2020 eingeladen bei unserem Projekt „KBT in Zeiten von Corona“ mitzumachen und es sind bis heute 18 Rückmeldungen eingegangen. Wir hatten Sie/Euch gebeten uns Ihre/Eure Eindrücke zu folgenden Leitfragen zu schicken:

  • Wie haben sich Ihre/Deine Arbeitsbedingungen in der Arbeit mit KBT in Klinik, Praxis und Weiterbildung verändert?
  • Was für Veränderungen in der Arbeit mit KBT nehmen Sie/nimmst Du in der Arbeit mit KBT mit Patient*innen wahr?
  • Wie verändert sich Ihre/Deine Arbeit mit KBT? Auf welchen anderen Wegen kommen Sie/kommst Du ans Behandlungsziel?

Wir haben zum Teil sehr persönliche Rückmeldungen erhalten, in denen Befürchtungen über die eigene Gesundheit oder die nahestehender Menschen geäußert wurden, aber auch über die Zukunft der Klinik oder der eigenen Praxis.

KBT in der Klinik…

Sehr eindrucksvoll ist, wie unterschiedlich in den Kliniken auf die Corona-Pandemie reagiert wurde: Manche Kliniken haben ihre psychosomatischen/psychotherapeutischen/psychia-trischen Stationen geschlossen, um Betten für an Covid-19 erkrankte Patient*innen vorzu-halten oder haben Patient*innen, die zu vulnerablen Gruppen gehören, entlassen oder nicht mehr aufgenommen. Die Information der Klinikleitungen darüber wurde nicht immer als strukturiert und transparent wahrgenommen, zum Teil als sehr direktiv. Dies wird in den Rückmeldungen als sehr belastend erlebt. Umgekehrt aber auch als unterstützend und motivierend, wenn die Kommunikation zeitnah und die Maßnahmen nachvollziehbar sind. In einem Teil der Kliniken finden die Team-Sitzungen und Kontakte vor allem per Telefon oder Video statt, in anderen Kliniken versucht man die Team-Besprechungen im persönlichen Austausch durchzuführen, auch dies wird von den KBT-Kolleg*innen als äußerst wichtig erlebt.

Interessant ist auch der unterschiedliche Umgang mit Hygienevorschriften in Bezug auf die Verwendung unserer KBT-Gegenstände, in manchen Einrichtungen genügt die Desinfektion der Hände vor und nach der KBT-Stunde, in anderen Einrichtungen müssen die Gegenstände vor und nach der Benutzung desinfiziert oder dürfen nur noch sehr eingeschränkt verwendet werden. Alle Kliniken scheinen mit reduzierter Belegung zu fahren, daher sind die KBT-Gruppen deutlich kleiner, was von den Kolleg*innen meist als sehr positiv erlebt wird. Es gibt aber Stimmen, die zu kleine Gruppen (weniger als sechs Teilnehmer*innen) für problematisch halten, da wichtige gruppendynamische Prozesse nicht mehr in Gang kommen und auch das Lernen am Modell leidet. Zum Teil wurden durch kleinere Gruppen auch die Gruppenzeiten verkürzt. In manchen Klinken wurden die Gruppentherapien eingestellt und die Patient*innen bekommen KBT-Einzeltherapie. Dies wird auch als Chance gesehen im klinischen Rahmen wieder mehr KBT-Einzeltherapie zu etablieren. Auch das Tragen von Schutzmasken wird in den Kliniken sehr unterschiedlich gehandhabt, in einem Teil der Kliniken werden Abstand, Hygiene, Atemschutz (durch häufiges Lüften und mit Schutzmaske, wenn der Abstand nicht eingehalten werden kann) sowie Kontaktreduzierung (Besuchsverbote) als ausreichend erachtet, in anderen Kliniken müssen Patient*innen und Therapeut*innen in KBT-Gruppen und Einzeltherapien generell Schutzmasken tragen (welche Schutzmasken dies genau sind, wird nicht ausgeführt). Die Maskenpflicht wird von allen KBT-Kolleg*innen als unangenehm empfunden, da das Atmen eingeschränkt ist und wichtige mimische Informationen fehlen. Eine Kolleg*in berichtet von einem kreativen Umgang auf einer Station für Kinder und Jugendliche. Diese haben ihre Masken bemalt (hygienisch betrachtet nicht wirklich ok, der Verfasser) und so entsteht eine neue Information über die Person. Die KBT-Kolleg*in überlegt künftig Masken in ihr KBT-Repertoire aufzunehmen.

Alle KBT-Kolleg*innen erleben sich beeinträchtigt durch das Abstandsgebot und das Fehlen von Angeboten oder therapeutischem Handeln mit Berührung. Auch die Patient*innen nehmen das wahr, auch ihnen fehlt die KBT, die sie kennen mit den Erfahrungen von Nähe und Berührung, der spontane Zugriff auf Gegenstände, das spontane und manchmal wilde Ausprobieren. Es wird beschrieben, dass die Patient*innen sehr froh sind in der Klinik an einem sicheren Ort zu sein mit gesicherten Kontakten (u.U. mehr als in der häuslichen Situation unter Corona-Bedingungen) und auch sehr dankbar über die Therapieangebote unter deutlich erschwerten Bedingungen. Natürlich fehlen auch den Patient*innen, die spontane Nähe zu den Mitpatient*innen, die oft so wichtigen Freizeitaktivitäten und die Besuche von Verwandten und Freunden sowie die Möglichkeit von Belastungserprobungen. Eine Kolleg*in beschreibt, dass durch das gemeinsame Erleben der Corona-Pandemie und ihrer Folgen auch eine neue Nähe mit den Patient*innen entstanden sei, da ja alle – Patient*innen wie Therapeut*innen – betroffen sind.

…und in der Praxis

Der größere Teil der Rückmeldungen kommt von KBT-Kolleg*innen, die in Kliniken arbeiten, einige davon arbeiten auch in eigener Praxis, der kleinere Teil stammt von KBT-Kolleg*innen, die ausschließlich in der Praxis arbeiten. Hier zeigt sich ein Unterschied im Erleben der ambulanten Patient*innen und Klient*innen: Die persönliche Bedrohung durch das Sars-CoV-2-Virus und der Level von Angst und Anspannung der ambulanten Patient*innen wird deutlich höher erlebt als bei den Patient*innen in der Klinik. Die KBT-Kolleg*innen in den ambulanten Praxen waren zu Beginn der Corona-Pandemie von vielen Absagen betroffen und betreuten ihre Patient*innen und Klient*innen telefonisch und auch per Video, allerdings hat sich dies in den vergangenen Wochen bereits verändert und die Therapien finden wieder mehr in den Praxen statt. Es bleibt allerdings abzuwarten, wie sich die Lage dort entwickelt, vor allem in Hinblick auf neue Anmeldungen. Die Kontakte per Telefon oder Video werden insgesamt als anstrengend erlebt, aber auch als hilfreich zur Überbrückung. Die KBT-Kolleg*innen in den ambulanten Praxen halten sich sehr genau an die Vorschriften bezüglich Abstand – Hygiene – Atemschutz und tragen zum Teil Schutzmasken.

Eine Kollegin fasst die Veränderung der Arbeitsbedingungen kurz und treffend zusammen: „Alles aufwändiger, mehr planen, mehr putzen.“

Ideen für die praktische Arbeit

Es ist sehr beeindruckend, wie die KBT-Kolleg*innen sich auf die für uns alle neue Situation eingestellt haben. Einige berichten, dass die Patient*innen in den KBT-Gruppen im Stuhlkreis sich problemlos an die Abstandsregel halten, aber der verbale Austausch zu Beginn länger dauert und auch wenn nicht über Corona gesprochen wird, das Thema Corona immer im Raum steht. Durch die kleineren Gruppen ist mehr Raum für die einzelnen Teilnehmer*innen. Insgesamt hat sich der Fokus in den KBT-Gruppen von der Gruppendynamik auf das Erleben des Einzelnen verlagert. Allerdings werden auch Angebote in Zweiergruppen mit Stab und Seil als Medium beschrieben, mit denen der Abstand eingehalten werden kann. Eine Kollegin beschreibt, dass sie die Arbeit mit einem großen Schwungtuch wiederentdeckt habe und so eine Gruppenaktivität in Gang bringen könne, bei der sich auch die Dynamik in der Gruppe entfalten könne. Mehrere KBT-Kolleg*innen berichten, dass sie wieder häufiger Gruppen in der Natur machen würden, wobei besonders die Sinneswahrnehmung angesprochen würde. Insgesamt fällt auf, dass fast alle KBT-Kolleg*innen mehr ressourcenorientierte und ich-stärkende Angebote machen, was in Krisenzeiten natürlich auch passend ist. Dazu gehört auch eine deutlich stärkere Strukturierung der KBT-Stunden und Angebote, um Halt und Sicherheit zu vermitteln. Eine Kollegin beschreibt, wie sie in einer Einzeltherapie ihrer Klientin über eine lange Stoffbahn Halt spürbar macht. Die Klientin hat dabei die Stoffbahn im Rücken, die Therapeutin hält diese mit ihren Händen an den Enden. Neben dem Thema Halt und Sicherheit wird von vielen KBT-Kolleg*innen, die Arbeit an den Grenzen erwähnt, an den eigenen Körpergrenzen, wie an den Grenzen zu anderen und auch daran, wann die Grenze erreicht ist, wie viele Informationen und Gespräche über die Corona-Pandemie verkraftet werden können.

Mehrere KBT-Kolleg*innen betonen die Wichtigkeit von Gegenständen, die ganz real eingesetzt werden, vor allem zu einer intensiveren Körperwahrnehmung, wie auch als intermediäres Objekt, vor allem um mit dem gebotenen Abstand in Kontakt zum Gegenüber zu kommen und natürlich auch auf der Symbolebene. Eine Kollegin schreibt, dass wohl unser Begriff von Nähe und Abstand neu definiert werden müsse und das sollten wir sicher im Auge behalten. Es geht selbstverständlich immer wieder um die Regulation von Angst und Stress. Hier wird oft die Arbeit mit dem Atem genannt, auch über die Selbstberührung und um in Kontakt mit sich zu kommen. Das ist in der Tat spannend, da Covid-19 ja eine Lungenerkrankung ist und die Schutzmasken unseren Atem nicht gerade frei fließen lassen. Aber auch ein Ballspiel mit klaren Regeln wird als probates Mittel genannt, um Stress abzubauen, das Grübelkarussell zu stoppen und spielerisch in Kontakt zu kommen.

Fazit

Unsere klassische strukturierte Körperarbeit mit der Wahrnehmung des Liegens, Sitzens, Gehens und Stehens erlebt eine Renaissance in Zeiten von Corona. Bewegen wir uns in der Krise „back to the roots“ zu Mutter Gindler? Den Satz von Helmuth Stolze „Wenn es so nicht geht, dann geht es anders!“ scheinen wir alle bestens verinnerlicht zu haben. Es ist wirklich höchst beeindruckend, mit welcher Kreativität und Wandlungsfähigkeit die KBT-Kolleg*innen ihre Arbeit an die Situation anpassen – jede Stunde scheint neu erfunden zu werden! Und dennoch wird auch – und das völlig zu Recht – der Verlust von therapeutischen Möglichkeiten beklagt. Eine Kollegin schreibt: „Manchmal schaue ich mehr, was ich überhaupt anbieten kann, als danach, was jetzt prozesshaft passen würde.“

Wir danken allen Kolleg*innen herzlich für die zum Teil berührenden Rückmeldungen, die Offenheit und das Vertrauen, mit dem diese uns allen Einblick in den Arbeitsalltag von „KBT in Zeiten von Corona“ gewährt haben. Wir möchten das Projekt gerne fortsetzen und freuen uns über weitere Rückmeldungen, vielleicht haben Sie/habt Ihr Lust kleine Fallvignetten über Eure Arbeit zu schreiben (weiter an Roland Brückl: info@kbt-ravensburg.de). Wir, Ute Backmann und Roland Brückl, werden über den weiteren Verlauf des Projekts „KBT in Zeiten von Corona“ bei der Jahrestagung im Oktober 2020 (die Tagung ist auf Oktober 2021 verschoben) berichten und mit Ihnen/Euch über die Veränderungen in unserer Arbeit diskutieren.

Herzliche Grüße,

Ute Backmann und Roland Brückl