Die internationale Fachtagung für Konzentrative Bewegungstherapie fand vom 11. bis 14. November 2021 zum Thema „Schmerz lass nach!“ im Wilhelm-Kempf-Haus in Wiesbaden-Naurod statt.

Für den Vorstand des DAKBT begrüßte Ute Backmann die 81 Teilnehmer*innen. Sie zeigte sich froh darüber, dass die Tagung in diesem Jahr unter fast gewohnten Umständen als Präsenzveranstaltung stattfinden konnte. Ihr Dank galt den Referent*innen für die Bereitschaft, ihre Vorträge und Seminare um ein Jahr zu verschieben und der Vorbereitungsgruppe für Ihre Flexibilität, für dieses Jahr sowohl eine Präsenz- als auch eine alternative Onlineveranstaltung vorzubereiten.

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Abbildung: Ute Backmann

Karin Schreiber-Willnow, Mitglied der Vorbereitungsgruppe, führte in das Tagungsthema Schmerz ein, dessen Behandlung eine Kernkompetenz der Konzentrativen Bewegungstherapie als körperorientiertes psychotherapeutisches Verfahren darstellt. Während der Tagung solle das Thema von unterschiedlichen Seiten beleuchtet werden: Die Einordnung des Phänomens im neuen ICD 11, leib-philosophische Aspekte sowie aktuelle psychosomatische Behandlungsmöglichkeiten.

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Abbildung: Vorbereitungsgruppe: Anke Hamacher Erbguth, Karin Schreiber-Willnow, Regina Schrack-Frank

Prof. Dr. med. Ralf Nickel eröffnete die Tagung mit seinem Vortrag „Kintsugi – Vom Glück in Scherben zu liegen und der Kunst zu verbinden“.

Kintsugi ist eine traditionelle japanische Reparaturmethode für Keramik, bei der Gebrochenes geklebt wird und als vergoldeter Bruch sichtbar bleibt. So, betonte Nickel, ist auch der Heilungsprozess psychosomatischer Erkrankungen zu verstehen. Dabei spielt es eine wesentliche Rolle, die Krankheit und den Krankheitsprozess in seiner Einzigartigkeit zu betrachten und in seiner Entwicklung zu verstehen.

Das Kategorisieren und Etikettieren durch Klassifikationen (im Januar 2022 wird die ICD-10 durch die ICD-11 abgelöst) wird einer komplexen Symptomatik oft nicht gerecht, ist aber als Grundlage für Vergleichbarkeit und Qualitätssicherung notwendig.

Nickel beschrieb die KBT als einen zentralen Bestandteil psychosomatischer Komplexbehandlungen und der psychodynamisch-psychotherapeutisch orientierten Schmerztherapie. Die KBT stellt einen empathischen, handlungsnahen Dialog-Raum zu Verfügung, der es ermöglicht, Entwicklungen individuell zu begleiten, die Schmerzbehandlung zu individualisieren und korrigierende Erfahrungen zu machen.

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Abbildung: Ralf Nickel

Am Donnerstagabend trafen sich traditionell die Gremien des Vereins. Zudem fand ein gut besuchtes Treffen für Interessierte zum Thema: „Wie unterstützend ist die KBT fürs alt werden und alt sein?“ statt, moderiert von Evelyn Schmidt.

Am Freitagvormittag stellte Angelika Draxler zwei Projekte des ÖAKBT vor:

Das Zoom LAB – entstanden auf der Suche nach digitalen Wegen der Therapie in der Coronakrise – ermöglicht es zertifizierten KBT-Therapeut*innen aus dem deutschsprachigen Raum, an einem kostenlosen Tele-KBT-Angebot per Zoom teilzunehmen. Das Zoom LAB ist sowohl Selbsterfahrungs – als auch Fortbildungsangebot. Ein 10-minütiges KBT Angebot wird zunächst zu zweit in einem Breakout-Room reflektiert und anschließend in einer Methodenreflexion im Plenum diskutiert.

Die digitale Dokumentationsstelle ist ein kostenfreies, umfassendes digitales Archiv für Veröffentlichungen über die Konzentrative Bewegungstherapie. Die bisher gescannte Literatur ist für Mitglieder des ÖAKBT im internen Bereich ihrer Website zugänglich. Ein möglicher Zugang für den DAKBT wird vom ÖAKBT geklärt.

Im zweiten Vortrag der Tagung „Das Leibgedächtnis von Schmerz und Trauma“ sprach Prof. Dr. Dr. Thomas Fuchs über die Zusammenhänge von Schmerz, Trauma und Gedächtnis aus phänomenologischer und psychopathologischer Sicht.

Schmerzen werden, wie alle Erfahrungen, die körperlich gemacht werden, im Leibgedächtnis repräsentiert. Ohne eine bewusste Erinnerung an die frühere Situation, erinnert unser Körper Schmerz und kann ihn sogar vorwegnehmen, wie z.B. in einer Schonhaltung nach einer Verletzung. Wiederholte Schmerzreize führen zum Wachstum von Schmerzneuronen im Rückenmark und zu einer Vergrößerung entsprechender Netzwerke in der sensorischen Hirnrinde. In Folge reicht ein kleiner Impuls, um den Schmerz auszulösen: chronische Schmerzen entstehen. Schmerzen bringen uns intensiv mit uns selbst in Kontakt. Sie vergegenwärtigen Beziehungsaspekte, wenn der Schmerz durch Strafe oder Trauma zugefügt wurde. 50% aller chronischen Schmerzpatient*innen haben Gewalt in der Kindheit erlebt.

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Abbildung: Thomas Fuchs

Unter dem Motto „Bewegung ist nicht nur bei Schmerzen gut!“ trafen sich am frühen Freitagnachmittag wanderlustige Tagungsteilnehmer*innen mit Alexandra Epner zu einer 5km langen Wanderung durch den Odenwald.

Die anschließende Diskussionsrunde zum Thema KBT in Zeiten von Corona fand sehr großen Anklang. Roland Brückl und Ute Backmann stellten zunächst ein Projekt vor, in dessen Rahmen sie am Anfang der Pandemie Erfahrungen von Kollegin*innen mit ihrer Arbeit in Kliniken und Praxen unter Pandemiebedingungen einholten. Nachdem das Thema nach wie vor große Aktualität hat, gab es auf der Tagung erneut die Gelegenheit eigene Erfahrungen in einem Brainstorming auf Flipcharts mitzuteilen. Die Teilnehmer*innen äußerten sich zu den Fragen: Was hat Euch bewegt in Zeiten von Corona? Was sind die Auswirkungen auf das therapeutische Arbeiten in Kliniken und Praxen, auf die Weiterbildung, auf das Vereinsleben und auf die Methode? Die Rückmeldungen werden von Roland Brückl und Ute Backmann ausgewertet und den Mitgliedern zugänglich gemacht werden.

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Abbildung: Brainstorming zum Thema KBT in Zeiten von Corona

Bei der EAKBT Generalversammlung am späten Freitagnachmittag wurden Maria Steiner als Präsidentin und Barbara Karlin als Vizepräsidentin in ihrem Amt bestätigt.

Der Vereinssitz des EAKBT wurde in der Zwischenzeit erfolgreich aus der Schweiz nach Deutschland verlegt. Auf dem EAP-Kongress (European Association for Psychotherapie) im März dieses Jahres konnte der EAKBT den EWAO-Status erfolgreich verteidigen und wurde reakkreditiert. Am 12. und 13. März 2022 wird anlässlich des 30jährigen Jubiläums des EAP ein Kongress in Wien stattfinden.

Die Versammlung endete mit einer Diskussion und Ideensammlung für die weitere Europäisierung der KBT (wie z.B. Einführungskurse in Grenznähe).

Am Freitagabend stellte Prof. Dr. phil. Klaus-Peter Seidler von der Forschungsgruppe des DAKBT in einem Vortrag das Forschungsprojekt (Neben-)Wirkungen der KBT-Gruppentherapie – die Sicht der Patient*innen vor. Nach einem herzlichen Dank an die Kolleg*innen aus den Kliniken, die sich am Forschungsprojekt beteiligten, gab er zunächst einen Überblick über wesentliche Aspekte wissenschaftlicher Forschung. Nachdem die Tagungsteilnehmer*innen im Rahmen des Vortrags die Möglichkeit hatten, sich selbst mit den Forschungsfragen auseinanderzusetzen, erfolgte die Präsentation der Forschungsergebnisse. Näheres zum Projekt und den Ergebnissen finden Sie auf der Homepage des DAKBT. Grundsätzlich ist es geplant, den Freitagabend der Tagung in Zukunft für die Präsentation von Forschungsprojekten zu nutzen, nachdem es die Forschungswerkstatt im Frühjahr nicht mehr gibt.

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Abbildung: Klaus-Peter Seidler

Nach dem Vortrag wartete eine Überraschung auf die Tagungsteilnehmer*innen. Die Forschungsgruppe lud zu „Forschungspralinen“ mit Sekt und Schokolade ein.

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Abbildung: Forschungspralinen

Am Samstagvormittag stellte Sabine Wessendorf, KBT-Therapeutin und Lehrbeauftragte im DAKBT, in ihrem Vortrag „Auf den zweiten Blick – die Geschichte hinter den Schmerzen“ den eindrücklichen Behandlungsprozess einer Patientin mit einer chronischen Schmerzstörung vor.

Sie machte zunächst deutlich, dass nicht der physische Schmerz es ist, der die höchste Belastung für die Patient*innen darstellt, sondern seine Auswirkungen auf die Persönlichkeit des Menschen. Zu erleben, dass man nicht mehr ist, wie man einmal war, ist schwer auszuhalten. Besonders drastisch wird das bei chronischen Schmerzen erlebt.

Bei akuten Schmerzen besteht Hoffnung auf Linderung und man erfährt das Mitgefühl anderer.

Demgegenüber „vergehen“ chronische Schmerzen nicht einfach und so gehen auch Erwartbarkeit und Vorhersehbarkeit verloren. Auch das Mitgefühl der Mitmenschen schwindet und so sind Rückzug und Scham die Folge.

Weil soziale Nähe Schmerz lindert und das Gefühl von Verbundenheit eine große Ressource darstellt, ist es wichtig, in der Therapie zunächst auf das Bindungsverhalten des Patienten zu achten. Die Fallvignette der Referentin machte sehr deutlich, wie wichtig es ist, sich zu Beginn der Therapie ausreichend Zeit für den Aufbau einer sicheren Bindung zu nehmen. Erst dann sollte der Schmerz in den Fokus genommen werden.

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Abbildung: Sabine Wessendorf

Am Samstagnachmittag fand die Mitgliederversammlung des DAKBT statt, nachdem sie im vergangenen Jahr pandemiebedingt ausfallen musste.

Die Berichte der Gremien machten deutlich, wie schwierig die Vereinsarbeit in den vergangenen beiden Jahren war. Gleichzeitig spiegelten sie wider, mit wieviel Engagement, Lebendigkeit und Kreativität trotzdem gearbeitet wurde.

Die beiden Initiatorinnen des Talentschuppens berichteten zum Beispiel von einer gelungenen Zoom-Veranstaltung mit 40 Teilnehmer*innen, bei der es darum ging, den Verein mit seinen Gremien näher kennenzulernen und eigene Talente zu entdecken.

Das Team der Zukunftswerkstatt lud für den 11./12.3.22 nach Bad Honnef ein zum Thema „DAKBT: Alle in einem Boot? Was uns eint und was uns auszeichnet.“

Bei den Sprecherinnen der Weiterbildungskandidatinnen gibt es eine personelle Änderung. Lydia Stapel übernimmt die Aufgabe von Petra Krüger, Frau Maass-Fust bleibt weiter im Amt.

Ute Backmann trat nach acht Jahren Vorstandstätigkeit bei den diesjährigen Vorstandswahlen nicht mehr an. Ihr Engegagement für den DAKBT wurde in mehreren Wortmeldungen und mit viel Applaus gewürdigt.

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Abbildung: Ute Backmann


Die Mitgliederversammlung wählte Waltraut Betker und Rudolf Kost ein weiteres Mal in den Vorstand des DAKBT. Neues Vorstandsmitglied ist Frank Kasper, Weiterbildungskanditat aus Prien am Chiemsee.

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Abbildung: Frank Kasper, Waltraut Betker, Rudolf Kost

Die nächsten Jahrestagungen finden am 13.-16.10.22 und am 12.-13.10.23 in Wiesbaden-Naurod statt.

Am Samstagabend konnte unter fast gewohnten Bedingungen gefeiert und  - zur Freude der KBT-Gemeinschaft - mit Abstand, aber großer Begeisterung getanzt werden. Elvira Braun, Heidi Klett und Regina Schrack-Frank griffen in einer Theatereinlage humorvoll Tagungsthemen auf und verzauberten ihr Publikum als König Majoran der Viertel-vor-Zwölfte, Prinzessin Lavendel und Ritter Beifuß.

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Abbildung: Tanz am Festabend

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Abbildung: Heidi Klett und Regina Schrack-Frank

Am Sonntagvormittag hielt Dr. med. Doris Klinger den Abschlussvortrag zum Thema „Psychosomatische Behandlung stressbedingter Schmerzstörungen“. Klinger gab zunächst einen Überblick über relevante Hirnfunktionen, um Zusammenhänge zwischen frühen Schmerzerfahrungen und dem genetisch festgelegten Stressverarbeitungssystem zu erläutern: Vor allem frühe Stresserfahrungen führen zu einer eingeschränkten Funktionsfähigkeit, so dass Dysstress häufig als Schmerz erlebt wird. Typische Stressfaktoren in der Kindheit sind familiäre Gewalt, emotionale Vernachlässigung und schlechte sozioökonomische Bedingungen. Als Schutzfaktoren wirken zum Beispiel sichere Bezugspersonen und Intelligenz. Obwohl sich Stresserfahrungen auch morphologisch auswirken, ist „Überlernen“ durch neue, heilsame Erfahrungen und gute Beziehungen im Erwachsenenalter möglich.

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Abbildung: Doris Klinger

Nach einer letzten Einheit in den Workshops traf sich das Plenum ein letztes Mal zu einer Abschiedsrunde. Rudolf Kost dankte der Vorbereitungsgruppe und allen an der Durchführung der Tagung beteiligten für die gelungene Veranstaltung.

Folgende Workshops fanden statt:

Körperschmerz – Seelenschmerz. Die Psychosomatik chronischen Schmerzes

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Abbildung: Kathinka Kintrup

„Und manches Übel flüchtet vor der Heiterkeit“ (Goethe)

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Abbildung: Heidi Klett und Elvira Braun

„Hör auf deinen Körper!“

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Abbildung: Claudia Krüger

Geschichten, die der Schmerz erzählt

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Abbildung: Sivia Maag

Das Vertrauen in den Körper wieder gewinnen

Abbildung: Marina Müller

Schmerz – Wut – Depression

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Abbildung: Jürgen Schultheiß

Morgeneinstimmung

Christoph Rother 2021 

Abbildung: Christoph Rother

Text: Karin Hartwig und Susanne Wagner  
Fotos: Karin Hartwig

Virtueller Büchertisch: Literaturliste zur Jahrestagung 2021 "Schmerz lass nach!"