Wenn der Ruf nach Entspannung von der Spannung ablenkt

Die Stunde beginnt recht unspektakulär - um nicht zu sagen abgeschlafft. Die Stimmung scheint gedrückt, manche haben sich in eine Decke eingewickelt, es ist förmlich zu riechen: Keine Lust.

Es ist der sechste Abend, genau die Hälfte einer fortlaufenden Gruppensequenz in Konzentrativer Bewegungstherapie (KBT). Gleichzeitig liegt aber auch irgendetwas in der Luft, die Atmosphäre ist gespannt.

Als die Therapeutin den Gruppenraum betritt, liegen alle Teilnehmer auf dem Boden. Die Therapeutin greift den aktuellen Zustand der Gruppe auf, spricht an, was sie wahrnimmt. „Ich sehe ihr liegt alle am Boden, ihr seid am Boden“ und fragt nach: „Was hat das zu bedeuten?“ Einzelne Teilnehmer äußern sich: Ihnen gehe es heute schlecht, sie wollten ihre Ruhe haben, am liebsten hätten sie eine Entspannungsübung.
Aus dem, was die Therapeutin wahrnimmt, was sie von den Teilnehmern hört und was die Situation in ihr an Gefühlen, Gedanken und Assoziationen auslöst, formuliert sie ein erstes so genanntes „Angebot“ an die Gruppe. Der Vorschlag zielt darauf hin, dass sich die Teilnehmer in diesem Moment differenziert in ihrem Körper wahrnehmen und sich der mit dieser Haltung verbundenen Gefühle bewusst werden. Es geht darum wahrzunehmen was ist; dementsprechend die Formulierungen der Therapeutin: „Wie liegt ihr auf dem Boden? Entspannt, schwer, gelöst? Wo haltet ihr fest? Wo spürt ihr Spannung? Wie ist euer Atem?“

Solche und ähnliche Fragen helfen den Teilnehmern, genauer herauszufinden, was wirklich mit ihnen los ist. Sie merken dann beispielsweise, dass sie nicht wirklich eine Entspannungsübung brauchen, sondern dass sie eigentlich ganz schön geladen sind, sich ihre Aggression aber nicht zugestehen und auch nicht wissen, wie sie adäquat damit umgehen können.
Die nächsten Fragen öffnen den Raum für mögliche Veränderungen. Welche Impulse tauchen auf? Vielleicht ballt sich eine Hand zu einer Faust, vielleicht schwingt sich der Körper zum Sitzen, vielleicht nehmen die Augen zu anderen in der Gruppe Kontakt auf.

Die Therapeutin ist der Gruppe immer ein wenig voraus – das ist die Kunst und gleichzeitig die Aufgabe. Sie spricht kleine Bewegungen an, Veränderungen in der Atmung, im Gesichtsausdruck, die in Ansätzen bei den Teilnehmern sichtbar werden, ohne dass sie diesen bereits bewusst geworden wären. Indem sie diese benennt, werden sie sowohl bewusst als auch eine Option für alle Gruppenteilnehmer „Aha, ich könnte auch aufsitzen“ oder „Stimmt, eigentlich bin ich ganz schön angespannt und würde am liebsten zuschlagen“ und auch eine Erlaubnis „Ich darf kraftvolle und aggressive Gefühle zeigen!“.

Die Teilnehmer erhalten von der Therapeutin einen Stab, einen langen Holzstab. Claudia nimmt ihn und schlägt heftig auf einen Stapel Kissen, Eva nutzt ihn, um ihren Körper damit abzurollen, Sofie klopft Rhythmen auf den Boden, Frank und Susanne wenden sich einander zu und lassen die Stäbe aneinander knallen. Immer heftiger und kraftvoller werden sie in ihrem Kampf. Lachen und heftiges Atmen begleitet ihre Auseinandersetzung.
Ulrich hat sich wieder auf den Boden gelegt, den Stab direkt unter seine Wirbelsäule. Margit zieht sich an dem Stab nach oben. Als sie schließlich steht, stützt sie sich an dem Stab. Er gibt ihr Halt. Fritzi, Benjamin und Rolf wissen zunächst nicht, was sie mit dem Stab anfangen sollen. Fritzi und Benjamin folgen dann dem Beispiel von Frank und Susanne: lustvoll halten sie die Stäbe aneinander und schieben und ziehen sich durch den Raum. Rolf schließt sich Sofie an: die beiden verständigen sich über Klopfzeichen, stehen Rede und Antwort, werden mal leiser mal lauter, mal heftiger mal zarter in ihrem Dialog. Die Therapeutin gibt Raum für diese unterschiedlichen Erfahrungen.

Die Teilnehmer sind in Bewegung gekommen, innerlich und äußerlich.Der Stab war genau das richtige Objekt, denn mit Hilfe des Stabs konnten die Teilnehmer ausprobieren und herausfinden, welches Thema für sie jetzt ansteht. Während Margit erkennt wie wenig Halt sie zurzeit in ihrer Beziehung hat, entdecken Frank und Susanne die wohltuende Wirkung einer direkten Auseinandersetzung. „Das müsste ich mit meiner Kollegin auch mal machen!“

Danach setzen sich alle zusammen und tauschen sich aus. Die Therapeutin moderiert das Gespräch, fragt was diese Erfahrungen hier mit dem alltäglichen Leben der einzelnen Teilnehmer gemeinsam haben. Wem gilt der Ärger? Mit wem würden sich die beiden gerne mal richtig auseinandersetzen? Wie ist das wenn ich mich zurückziehe, „in Nichts auflöse“ und so tue als ob alles in Ordnung wäre – und wie es ist, wenn ich mich bemerkbar, hörbar, sichtbar, angreifbar mache? Die Teilnehmer teilen ihre Erlebnisse mit, sie reflektieren ihr Verhalten, das von heute Abend und ihr Verhalten im Alltag. Gut fühlen sie sich, jetzt sind sie entspannt! Viele haben heute eine neue Erfahrung gemacht: sie haben erlebt, wie es sich anfühlt nach vorne zu gehen (adgredere - daher kommt das Wort Aggression!), dass das Kraft freisetzt und Lust macht.

Eigentlich wollten sie keine Entspannungsübung. Aber sie wussten nicht, was sie wollten, sie fühlten sich eben nicht gut, und manche traute sich auch nicht etwas zu sagen. Der geschulte KBT-Therapeut hört die Botschaft hinter der Botschaft. Er lenkt den Gruppenprozess so, dass jeder Teilnehmer sein Thema findet und in dem offenen und geschützten Raum der Gruppe die anstehenden nächsten Schritte geht.
Zwei Gruppenabende später ergreift Susanne als Erste das Wort: „Heute bin ich mal wieder total lustlos ins Büro gegangen und als mir diese Kollegin, von der ich euch schon erzählt habe, wieder so dumm kam, da habe ich mich an die Übung mit dem Stab erinnert, wie ich dem Frank contra gegeben habe und wie ich mich dabei immer stärker gefühlt habe. Und dann habe ich mir ein Herz gefasst und habe die Kollegin konfrontiert, habe ihr einfach klipp und klar gesagt, was mich an ihr so stört und aufregt.
Zuerst war ich ganz aufgeregt, aber dann wurde ich immer sicherer und mir hat unheimlich geholfen als der Frank das damals so gut fand, dass ich mit meiner Kraft raus bin und mich eben nicht versteckt habe und wir hatten ja auch so viel gelacht. Ich sag’s euch: ich kann euch das nur empfehlen. Die Kollegin war erst total perplex so nach dem Motto „Was ist denn in die gefahren“, aber dann hat sie super reagiert und meine ganze Anspannung hat sich aufgelöst. War ein richtiger guter Arbeitstag heute.“

Susanne hat die Erfahrungen, die sie an dem Gruppenabend mit Frank gemacht hatte, umgesetzt. Ihr hatte geholfen, alles was sie innerlich zuerst dumpf und undeutlich beschäftigte, nun genauer wahrzunehmen, zu verstehen und dann nach außen zu bringen. In der Auseinandersetzung mit dem Stab und dann mit Frank wurde ihr mit all ihren Sinnen deutlich, worum es bei ihr ging, nämlich den Schritt nach vorne zu wagen in die direkte Begegnung. Das war neu für sie und das hat sie an dem einen Gruppenabend geübt, quasi auf Probe, und so konnte sie es dann in ihrem Arbeitsalltag umsetzen. Das ist KBT!

Über KBT:
Die „Konzentrative Bewegungstherapie“ (KBT) ist ein körperorientiert psychotherapeutisch arbeitendes Therapieverfahren. Der Deutscher Arbeitskreis für KBT hat seinen Schwerpunkt in der qualifizierten Weiterbildung und in der weitergehenden Beforschung der Methode. In Deutschland wird die KBT-Methode seit den 50er Jahren mit großem Erfolg stationär angewandt: Derzeit in 92 psychosomatischen Kliniken (der überwiegenden Zahl derartiger Einrichtungen), rund 260 Therapeutinnen und Therapeuten bieten KBT schwerpunktmäßig ambulant an. Über Landesgrenzen hinweg sind die Therapeuten in Belgien, Deutschland, Österreich, Italien, Schweiz, und der Slowakei auch im EAKBT (Europäischer Arbeitskreis für KBT) organisiert.

Abdruck honorarfrei, Beleg erbeten

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